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Interview mit Katherine Tyndall

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Böden bilden die Grundlage für das Leben von Pflanzen, Tieren und Menschen. Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht so aussieht, tummeln sich in dem Boden unter unseren Füßen zig Insekten, Pilze und Bakterien – in zwei Handvoll fruchtbarem Boden leben zum Beispiel sieben Millionen Organismen! Diese Bodenlebewesen sind in minutiöser Kleinstarbeit daran beteiligt, organische Materialien wie zum Beispiel Pflanzenabfälle zu zersetzen und in frische Erde umzuwandeln, sodass neue Pflanzen daraus entstehen können. Welche Pflanzen auf einem Boden wachsen, hängt ganz von seiner Zusammensetzung ab: Ob auf dem Boden zum Beispiel schon mal gebaut wurde, welche Pflanzen vorher auf ihm gewachsen sind oder ob er eher aus Sand oder aus Lehm besteht, bestimmt seine Nährstoffzusammensetzung sowie seine Fähigkeit, Wasser zu filtern und zu speichern und damit auch, welche Pflanzen sich auf dem Boden wohlfühlen und welche nicht. Matze vom Prinzessinnengarten Kollektiv und Miren von BodenschätzeN  haben uns mehr über den Boden des Neuen St. Jacobi Friedhofs erzählt.

Matze:

Es ist eine Besonderheit vom St. Jacobi Friedhof, dass wir hier auf einer Lehm-Linse sind. Die ist durch die Eiszeit entstanden. Durch die Gletscher sind verschiedene Substrate verschoben worden und an den meisten Stellen in Brandenburg ist es einfach Sand. Hier sitzt aber aufgrund der Eiszeit Lehm drunter, der hier zusammengeschoben worden ist von den Gletschern und zusammengespült vom Schmelzwasser. Lehm hält Wasser sehr viel besser als Sand und von daher ist der Friedhof ein bisschen feuchter.

Laura:

Was würdet ihr denn sagen, wie ist der Boden im Prinzessinnengarten?

Miren:

Super!

Laura:

Und woran liegt das?

Miren:

Hier gibt es schon seit wer weiß wann keine Bebauung. Den Friedhof gibt es seit etwa 150 Jahren — das heißt, es gibt keine Bebauung, es gibt keine Reste von Bebauung, es gibt keine andere Industrienutzung oder irgendwas, das den Boden gefährdet durch Öl oder irgendwelche anderen Einträge.

Dass der Boden nicht bebaut worden ist, ist deshalb so wichtig, weil er dann nicht versiegelt wurde. Eine sogenannte Bodenversiegelung entsteht, wenn zum Beispiel Straßen oder Häuser gebaut werden, die den Boden luft- und wasserdicht abdecken. Dadurch geht die Bodenfauna zugrunde und selbst wenn die Bodenversiegelung nicht mehr da ist, wachsen Pflanzen deutlich schlechter als vorher.

Auf dem Neuen St. Jacobi Friedhof hat der Mensch den Boden zwar nicht durch Bebauung verändert, doch Matze vom Prinzessinnengarten Kollektiv hat uns eine andere Besonderheit über Friedhofsböden erzählt:

Matze:

Die Böden auf Friedhöfen werden in der Bodenkunde als Nekrosol bezeichnet — Nekros der Tod. Das ist eine ganz eigene Bodenart, die sich vor allem durch einen mächtigen A-Horizont auszeichnet, das heißt die oberste Schicht, die Humusschicht, die ist hier sehr viel dicker als auf naturbelassenen Flächen. Das liegt nicht daran, dass die Menschen, die hier bestattet worden sind, zu Humus geworden sind und dadurch den Humusgehalt des Bodens gesteigert haben — laut Berliner Friedhofsordnung wird in mindestens 1,80 Metern Tiefe bestattet und da ist dann nichts mehr mit Humusbildung im Oberboden —, sondern es geht eher um die Grabpflege. Früher war es der Klassiker, dass drei Mal im Jahr die Gräber neu bepflanzt worden sind. Jedes Mal, wenn die Pflanzen neu gesetzt werden, werden die mit einem Topfballen mit Substrat unten drin gesetzt. Wenn die Beete abgeräumt werden, werden vor allem die Pflanzen abgerupft, aber das Topfsubstrat, das heutzutage aus 95 % Torf besteht, bleibt im Boden, verrottet und bildet diese Humusschicht, die hier extrem ausgeprägt ist.

Miren:

Es ist so unterschiedlich, also dieselbe Pflanze wächst in verschiedenen Böden und sieht völlig anders aus — eine Brennessel in verdichtetem Boden, der nährstoffarm ist oder stickstoffreich ist.

Matze:

Je nährstoffärmer ein Habitat, desto geringer die Artenvielfalt. Das liegt daran, dass sich auf nährstoffreichen Böden die Generalisten durchsetzen, die Pflanzen, die extrem konkurrenzstark sind und auf sehr armen Böden können sich Spezialisten halten, die mit schwierigeren Bodenverhältnissen umgehen können.

Wir können also zusammenfassen, dass es verschiedene Boden-Typen mit unterschiedlichen Bestandteilen gibt, die abhängig von der Nutzung des Bodens und seiner Umgebung variieren und entscheiden, wie und welche Pflanzen auf dem Boden wachsen.

Im Boden passieren viele Prozesse, die wir mit unserem bloßen Auge nicht sehen können. Wusstest du zum Beispiel, dass Bäume und Pilze mit ihren Wurzeln ein unterirdisches Netzwerk bilden, über das sie Nährstoffe austauschen und sogar kommunizieren? So verbinden Pilze mehrere Bäume über Kilometer hinweg und ermöglichen es den Bäumen, sich gegenseitig zum Beispiel vor Schädlingen zu warnen.

Ein anderer, sehr wichtiger Prozess im Boden ist das Zersetzen und Umwandeln von organischer Materie in frische Erde. Denn zum Wachsen gehört auch Zerfall, zum Beispiel wenn sich im Herbst die Blätter gelb färben und vom Baum fallen. Miren von BodenschätzeN beschäftigt sich mit dem Kompostieren und hat Komposthaufen im Prinzessinnengarten aufgestellt. Dort sammelt sie Pflanzenabfälle, die regelmäßig von einem Haufen in den anderen umgeschichtet werden, damit die Pflanzenreste nicht schimmeln und genug Sauerstoff bekommen. Dann machen sich ganz viele kleine Bodenlebewesen daran, die Pflanzenabfälle zu essen und als neue Erde wieder auszuscheiden. Eines von diesen Bodenlebewesen ist das Springschwänzchen.

Miren:

Das ist mit das älteste Insekt. Unbekannt, obwohl es so eine wichtige Rolle spielt. Es sieht total niedlich aus, so länglich und hat seinen Körper in vier Teile geteilt: zwei Fühler, sechs Beinchen — es ist ja ein Insekt — und zwei Augen. Es ist ein Urinsekt und wenn du das mal kennst, findest du es eigentlich überall. Immer so, wo Laub ist oder Gras oder Reste von Pflanzen und du wirst so kleine Punkte sehen und die sind total wichtig, um die organische Materie zu zersetzen. Wenn du dir ein Blatt von diesem Haufen nimmst, von den unteren Schichten, wo es ein bisschen feuchter ist, und du ziehst ein Blatt raus, sind da lauter weiße Punkte und du kannst vielleicht noch erkennen, ob es eine Linde oder ein Ahorn oder so ist. Wenn du das vergleichst mit einem anderen Blatt, das weiter oben war, wo es nicht so feucht war, wo es nicht so viele Springschwänze gab, dann ist das erste Blatt so viel dünner geworden und du kannst dir vorstellen, wie sie arbeiten. Von der Oberfläche an fressen sie sich durch, bis das Blatt immer dünner ist, bis wir Blätter haben, die so wie Pergament aussehen – die so schön aussehen. Die sind von kleinen Organismen gegessen worden. 

Eigentlich ist das der Stoffwechsel von Organismen. Das heißt, die Tiere, Makro- oder Mikroorganismen, Pilze oder Algen verstoffwechseln, das heißt, sie haben einen Austausch, also nehmen sich irgendwelche Stoffe und sie geben irgendwelche Stoffe zurück. Da steigt die Temperatur und was die Temperatur steigen lässt, ist die biologische Aktivität. Wir schmeißen alles zusammen, wir wässern, dadurch gibt es auch Stickstoff und die Organismen fangen an, sich zu vermehren. Das ist ihr Stoffwechsel – so, wie wir Wärme produzieren, produzieren sie auch welche und das lässt die Temperatur steigen.

Vielleicht bist du eben an mehreren Beeten vorbeigelaufen. Hier pflanzen Gärtner:innen Gemüse und Kräuter an, die dann im Café oder Zuhause verarbeitet werden. An den offenen Gartenarbeitstagen kannst du auch kommen und mitgärtnern. Dort drüben auf dem Beet gärtnert PlantAge, ein Verein, der hier bioveganes Gemüse anbaut – also keine biodynamischen Düngemittel verwendet. Und hier hinten ist der Heilkräutergarten von Flamingo e.V., in dem Frauen gemeinsam heilende Kräuter anpflanzen. Alina von PlantAge und Anuscheh von Flamingo e.V. haben uns erzählt, was Gärtnern für sie bedeutet.

Anuscheh:

Über einen Garten läuft ganz viel durch andere Sinnesorgane, also dieses wirklich Beobachten und Spüren.

Alina:

Zu gucken, wie sich Sachen entwickeln, die man selbst ausgesät hat, das ist was ganz Besonderes.

Anuscheh:

Dann entsteht auch dieses Gefühl von ‘Ok, ich habe jetzt hier gerade ein ganzes Beet bearbeitet und bepflanzt, hier wächst was und das braucht auch Wasser’ – also es ist eine Verbindung, die dann da ist: das Wiederkommen und Gießen und Gucken, wie es den Pflanzen geht.

Alina:

Das bringt einen eh ein bisschen runter, wenn man so ein bisschen mehr Ruhe hat und die Vögel beobachten kann – so schöne Momente, die so zufällig entstehen: man sieht irgendwo ein Eichhörnchen oder einen Specht. Das hat man natürlich sonst nicht.

Anuscheh:

Beim Gärtnern ist es halt nochmal so eine Verbundenheit. Ich weiß zum Beispiel, es ist jetzt total heiß und die Pflanzen wurden Sonntag gegossen – heute ist Dienstag – und werden morgen wieder gegossen. Aber ein Teil von mir denkt schon: „Ahh, soll ich doch vielleicht heute nochmal hinfahren und die gießen?“. Das ist so eine Verbundenheit, also diese gegenseitige Care-Geschichte. Und das haben andere gemeinschaftliche Zusammenkünfte jetzt nicht unbedingt so wie beim Gärtnern. Man fühlt sich auch gebraucht und verantwortlich. Gerade wenn wir von Menschen mit Traumaerfahrung und Krieg und Gewalt sprechen — was ja bei Flamingo einfach ein Thema ist —, ist diese Selbstermächtigung wichtig, für sich selbst verantwortlich zu sein und zu sehen: Ok, ich werde aber auch gebraucht und ich kann auch eigene Sachen herstellen. Es ist ja auch ein Kreislauf — wer bringt wem was bei? Wissen wird ausgetauscht — das war uns ganz, ganz wichtig. Es ist dann nicht dieses paternalistische „wir haben die und die Kräuter“, sondern „pflanzt bitte das ein, wo ihr denkt, das hat eine positive Wirkung“.

Unser Wunsch war auf jeden Fall, den Frauen diesen Zugang zur Alternativmedizin zu ermöglichen – der ist ja total verschlossen, wenn du nicht zur privilegierten Gruppe gehörst. Weil wir auch noch mal das Wissen, das ganz viele Frauen aus ihren Herkunftsländern mitbringen, von ihren Vorfahren reaktivieren — was hat denn zum Beispiel eure Oma genommen, wenn sie starke Kopfschmerzen hatte? So haben wir ganz viele Geschichten gesammelt und haben uns deswegen auch für Kräuter entschieden. Minze, Rosmarin, für Babys und Kleinkinder Fenchel bei Bauchschmerzen, Salbei bei Halsschmerzen, Kamille, Thymian – das sind die Heilkräuter, für die wir uns entschieden haben.