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Interview mit Katherine Tyndall

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Matze:

Ganz allgemein ist der Nährstoffeintrag der Hauptgrund, wieso die Artenvielfalt der Pflanzen so stark zurückgeht in Mitteleuropa, weil alles wie blöde gedüngt wird — einerseits durch die Landwirtschaft und andererseits durch Industrie und Verkehr über die Stickoxide, die mit dem Regen runterregnen, die reichen schon aus um als landwirtschaftliche Grunddüngung zu gelten.

Doch was bedeutet Artenvielfalt überhaupt und wieso ist sie wichtig?

Artenvielfalt bezeichnet die Anzahl biologischer Arten innerhalb eines bestimmten Gebiets. Die Vielfalt der Arten ist Teil der Biodiversität — das bedeutet die Gesamtheit aller verschiedenen Lebensformen auf der Erde wie zum Beispiel Tiere, verschiedene Pflanzen, Pilze, Bakterien und auch wir Menschen; aber auch das Ökosystem, in dem wir leben, also zum Beispiel Wälder, Seen oder Wiesen. Jede Tier- und Pflanzenart hat in dem jeweiligen Ökosystem eine bestimmte Aufgabe und arbeitet oft mit einer anderen Art zusammen. So entstehen Kreisläufe, die dafür sorgen, dass die jeweiligen Ökosysteme funktionieren.

Wenn ihr euch auf dem Neuen St. Jacobi Friedhof umschaut, fällt auf, dass dort besonders viele große und alte Bäume stehen. Das liegt daran, dass der Friedhof so lange nicht bebaut wurde und die Bäume ungestört wachsen konnten. Doch nicht nur große Bäume können gut auf dem Friedhofsgelände gedeihen, dort fühlen sich auch Büsche und kleinere Pflanzen wohl. All dies stellt einen wichtigen Unterschlupf für Tiere und Insekten dar. So konnte sich der Friedhof zu einem stabilen Ökosystem entwickeln, in dem mitten an der befahrenen Hermannstraße eine Vielfalt an Tieren lebt und Unterschlupf sucht.

Sandra:

Aber das Schöne an dem Friedhof ist ja, dass wir dort sowohl niedrig wachsende Pflanzen haben — Gras und Buschlevel — wir haben aber auch verschieden hohe Bäume. Und das gibt natürlich vielen die Möglichkeit, sich dort niederzulassen und dann in den verschiedenen Schichten wie in einem Mietshaus zu wohnen und das funktioniert sehr gut. Man kann dann schon in derselben Ecke einen kleinen Singvogel sehen und die Amsel gleichzeitig bei der Wurmsuche — und ganz oben sitzt dann die Krähe oder der Habicht. Das ist schön, auf so einem doch relativ kleinen Ort wie dem Friedhof so viele Vogelarten so dicht beieinander zu sehen.

Miren:

Es ist ein sehr schönes Ökosystem – ziemlich divers, was wir sonst auf dem Land heutzutage nicht so einfach finden – und in der Stadt leider auch nicht so langfristig. In der Stadt gibt es zwar biodiverse Räume, aber nicht über eine so lange Zeit.

Matze:

Da sind viele alte Bäume dabei, die schon Morschungen und Höhlungen drin haben, die von Höhlenbrütern besetzt werden. Es gibt über dreißig Vogelarten, die nachgewiesen sind hier auf dem Gelände – für so eine innerstädtische Fläche ist das schon ganz ordentlich und da sind auch Arten dabei, die streng geschützt sind: Eulen sind hier – mindestens als Jagdrevier und teilweise haben sie ihre Schlafbäume hier. Neulich war hier zum Beispiel ein Habicht unterwegs, die sind auch streng geschützt. Die gesamten Vogelpopulationen sind massiv im Rückgang und Flächen wie diese hier sind natürlich außerordentlich wichtig, um ihnen in den Städten noch Rückzugsgebiete zu gönnen.

Bäume bieten also wichtige Rückzugsorte für Vögel. Was es sonst für Abhängigkeiten zwischen der Tier-, Pflanzen-, und Insektenwelt gibt, hat uns Sandra am Beispiel eines Haussperlings erklärt:


Sandra:

Also die Vögel, die das ganze Jahr über im Garten leben, die nicht nach Süden ziehen — nehmen wir unseren Haussperling — der ist ja darauf angewiesen, das ganze Jahr etwas zu fressen zu finden. Also auch im Winter. Und das sind dann meistens auch Sämereien, also irgendwelche Samen und dergleichen von Pflanzen. Das heißt, je mehr Pflanzen man in der Umgebung hat, die solche Sachen abgeben, desto besser ist es für sie. Auf der anderen Seite, um seine Jungen großzuziehen, da braucht er dann Proteine, Insekten und die kleinen Spatzen fressen eben Insekten. Und das bedeutet dann wiederum, dass wir sehr viele Pflanzen haben müssen, die dann den Insekten Nahrung bieten. Sei es in Form von Pollen oder Nektar, oder generell auch Holz ist wahnsinnig wichtig auch für verschiedene Käferarten und dergleichen. Das heißt, was wir brauchen, ist eine gute Auswahl an Pflanzen.

Wie Gärtner:innen dafür sorgen können, dass sich bestimmte Pflanzenarten an einem Ort durchsetzen, hat uns Matze vom Prinzessinnengarten Kollektiv erklärt.


Matze:

Der wichtigste Faktor für die Pflanzenzusammensetzung, die wir hier haben, ist die Maht. Je nachdem, wie oft, an welchen Stellen, auf welche Art und Weise wie kurz gemäht wird, können sich unterschiedliche Pflanzen durchsetzen. Diese ganzen Frühblüher wären nicht in so auffällig großen Beständen da, wenn hier nicht regelmäßig gemäht würde und ihnen dadurch die Konkurrenz vom Hals geschafft wird. In der Natur ist es tendenziell so, dass eine Pflanze irgendwo wächst und sagt „hier wachse ich“ und dann kommen erstmal zwanzig andere und sagen „das wollen wir erstmal sehen“. Die Pflanze, die am besten an den Standort angepasst und dort am konkurrenzstärksten ist, die wird sich durchsetzen. In Mitteleuropa sind das fast alles Bäume. Wenn hier nicht regelmäßig gemäht würde, dann wäre das alles ein komplettes Dickicht, wodurch die Artenvielfalt abnehmen würde.

Miren:

Was wir brauchen, ist Biodiversität. Das brauchen sowohl wir, als auch die Tiere und das ist gut für alle Ökosysteme. Und was braucht es dafür? Also auf jeden Fall ein Stück weit Sich-selbst-Überlassen. Hier gibt es Flächen, die werden beackert – hier passiert auch viel, aber dann gibt es viele Flächen, zum Beispiel diese Hecke, hier hinten: Ich wette, da ist seit Jahren nichts passiert, das heißt, da wird auf jeden Fall genistet, da werden sich die Igel sicherlich wohlfühlen, da werden viele Insekten sein und da hat sich auf dem Boden schon eine Schicht an Humus gebildet über viele Jahre – solche Ecken, die einfach sich überlassen werden.

Sandra:

Bis jetzt ist es ja noch so, in Parks oder in Grünflächen um Häuser und Wohnhäuser herum, die werden ja ständig gemäht. Immer hat man überall diesen englischen Rasen und das ist furchtbar, das ist lebensfeindlich. Das tut eigentlich niemandem gut. Wir haben uns daran gewöhnt und wir denken, das sieht auch gut aus – gepflegter Rasen ist kurzer Rasen – aber gepflegter Rasen ist ökologisch tot. Da ist nichts drin, da wohnt nichts, das nützt nichts und niemandem was.

Das Bundesministerium für Umwelt- und Naturschutz gibt an, dass aufgrund des Klimawandels, der Bau-, Industrie- und Landwirtschaft bis zu eine Million Arten vom Aussterben bedroht sind. Fallen dir Tiere oder Insekten ein, die du früher regelmäßig gesehen hast, die dir heutzutage aber kaum noch begegnen? Ich erinnere mich vor allem, früher, sobald die ersten Blüten geblüht haben, ganz selbstverständlich von Schmetterlingen und Marienkäfern umgeben gewesen zu sein – dieses Jahr habe ich noch kaum welche gesehen. Ähnliches berichtet auch Sandra Mänty.


Sandra:

Wir haben schon zu einer sehr frühen Zeit, oft schon im Februar, tatsächlich blühende Blumen für die ersten Insekten, die dann so langsam aber sicher aufwachen. Wobei ich sagen muss, dass sowohl die Gärtner vor Ort als auch ich dieses Jahr der Meinung sind, dass wir ganz schrecklich wenig Hummeln haben. Wir haben dafür keine Daten, wir haben keine gefangen, aber dadurch, dass wir ja oft da sind und uns umschauen und beobachten, haben wir den Eindruck bekommen, dass dieses Jahr doch deutlich weniger Hummeln unterwegs sind als letztes Jahr und auch Schmetterlinge habe ich bisher nur sehr, sehr wenige gesehen. In ganz Berlin habe ich bis dato noch kein einziges Tagpfauenauge gesehen.

Laut dem Nabu sind innerhalb der letzten Jahre die Bestände der Insekten dramatisch zurückgegangen. Durch den Rückgang der Artenvielfalt und der Biodiversität funktionieren manche Ketten und Abhängigkeiten nicht mehr, wie uns Alina von PlantAge erzählt hat.


Alina:

Viele Lebewesen sind ja auch Spezialisten: Die haben dann zum Beispiel einen langen Rüssel, der nur in eine bestimmte Blütenform reinkommt und dann sind sie bei einem Gänseblümchen halt nicht versorgt. Oder ein Schmetterling, der halt erstmal den nächsten Faulbaum suchen muss, der Kilometer weit weg ist, der schafft es vielleicht einfach nicht. Das heißt, man braucht letztendlich einen Lebensraum, in dem eine Vielfalt von Pflanzen verfügbar ist — sonst hat man am Ende keine Vielfalt mehr von allem.

Matze:

Es ist natürlich auch faszinierend zu beobachten: Welche Pflanzen sind jetzt Gewinner vom Klimawandel und welche sind die Verlierer. Die Birken sind alle am Abkacken, weil es denen im Sommer einfach zu heiß wird. Dafür gibt es andere Arten wie den Weinbergslauch. Der war früher bei uns nicht so weit verbreitet und jetzt wächst das Zeug hier überall. Auch Walnüsse: Jungpflanzen sind relativ frostempfindlich und früher gab es immer mal wieder einen harten Winter, der die Sämlinge rasiert hat. Das ist heutzutage nicht mehr so, sondern die Winter sind eigentlich alle so mild, dass die Walnüsse durchkommen und deshalb sieht man überall auf dem Friedhof Walnussjungbäume aufkommen.

Um Biodiversität zu erhalten, müssen also insbesonders Ökosysteme geschützt und teilweise auch sich selbst überlassen werden. Dies geht jedoch nur, wenn die Anforderungen des menschlichen Lebens, wie zum Beispiel immer mehr Häuser und Straßen zu bauen und Grünflächen einzuschränken, zurückgeschraubt und Ökosystemen mehr Platz gelassen wird, oder wie Sandra sagt:


Sandra:

Einfach mal Dinge wo wachsen lassen, wo man vielleicht sagen würde, das sieht verwildert aus, aber das ist meistens sehr viel besser für Pflanzen und Tiere als so ein englischer Rasen.

Wie Matze vorhin erzählt hat, zeigt sich die Vielfalt, die es auf dem Friedhof gibt, vor allem durch die Vögel. Es gibt über dreißig verschiedene Vogelarten. Einige davon haben wir in der nächsten Station versammelt. Kannst du welche hören und vielleicht sogar sehen?