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Interview mit Katherine Tyndall

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Wir haben uns die Frage gestellt, wie wichtig Grünflächen in einer Stadt wie Berlin sind und welche Bedürfnisse im Neuen St. Jacobi Friedhof aufeinandertreffen. Du kannst dich jetzt gerne auf eine Bank setzen und den verschiedenen Stimmen zuhören. Wir haben mit Samira, Mawada, Mariama, Mali und Iman vom MaDonna Mädchentreff, Matze und Paula Firmbach vom Prinzessinnengarten Kollektiv, Bettina Neff vom Evangelischen Friedhofsverband Berlin Stadtmitte, Alina von PlantAge, Anuscheh von Flamingo e.V. und der anstiftung, sowie mit Sandra Mänty, einer Wildtierforscherin, darüber gesprochen. 


Mawada:

Ich denke auch, dass wenn man grob drauf guckt, dann spielt die Natur eine sehr wichtige Rolle. Und vor allem in Städten gibt es eigentlich sehr wenig Grünflächen. Und wenn man bedenkt, mit den Autos und dem CO2, das ausgestoßen wird, ist es auch sehr ungesund für unser Klima, sag ich jetzt mal so. Aber ich glaube die Menschen selbst, wenn man auf eine einzelne Person guckt, dann interessiert es die meisten Menschen gar nicht und sie spüren bis jetzt noch gar nicht die Konsequenzen davon.

Matze:

Wir sind hier auf dem Neuen St. Jacobi Friedhof. Das ist einer von den Industrialisierungsfriedhöfen, der damals gegründet wurde, als Berlin aus allen Nähten geplatzt ist wegen der Industrialisierung und wegen der Landflucht und weil alle Welt nach Berlin gezogen ist, um einen Job zu finden. Und durch diese extreme Expansion Berlins wurden auch neue Friedhöfe gebraucht.

Bettina:

Alle Friedhöfe gehörten früher zu den jeweiligen Gemeinden, die waren aber oft weit weg von ihren Kirchen. Dadurch hatten die Kirchengemeinden und ihre Friedhöfe schon länger nichts mehr miteinander zu tun. Dadurch gibt es hier an der Hermannstraße wie an einer Perlenkette aufgereiht ganz viele Friedhöfe, die zu unterschiedlichen Gemeinden gehören. Einschneidend war für die Friedhofsentwicklung, dass lange Zeit – die Möglichkeit für Einäscherung und Urnenbeisetzung gibt es eigentlich zwar schon sehr lange, aber sie hat nie wirklich gefruchtet. Jetzt sind wir an einem Punkt angekommen, an dem eigentlich neunzig Prozent der Beisetzungen Urnenbeisetzungen sind. Das heißt, die Einnahmen sind entsprechend zurückgegangen. Es gibt Grabgebühren, die erhoben werden, in der Regel von zwanzig Jahren Nutzungsdauer. Dann gibt es noch Pietätsnachfrist, das bedeutet, dass zehn Jahre danach darf unter der Erde noch nichts gemacht werden – über der Erde könnte man theoretisch schon was verändern — und nach 30 Jahren erlischt das Nutzungsrecht, wenn es nicht verlängert wird. Am Ende ist die Frage, wie finanziert sich das heute noch? Gleichzeitig hat sich auch alles andere weiterentwickelt — die Stadt wächst und der Klimawandel schlägt zu. Das heißt, dass die Flächen immer mehr in den Fokus gerückt sind. Und jetzt ist der Druck da. Einerseits von der Frage nach innerstädtischem bezahlbarem Wohnen — also wir haben hier ja Flächen, die werden eigentlich nicht mehr gebraucht, könnte man da nicht drauf bauen? — andererseits, vielleicht ein Glück, ist der Druck vom Naturschutz gestiegen. Diese Flächen sind über die Jahre zu sehr wertvollen, biodiversen Flächen herangewachsen, wo es eine Artenvielfalt gibt, die es sonst fast nirgends in dieser Stadt gibt.

Paula:

Die Grünfläche hier oder Friedhofsflächen an sich sind super wertvolle Orte in einer Stadt, weil das sind meistens hundert Jahre alte Orte, gewachsene Naturräume, also es gibt keinen Eintrag im Boden, oder es ist nicht versiegelt, wie bei einer Brachfläche. Und gerade in Neukölln, wenn man sich eine Klimakarte anguckt, ist es schon so, dass es eine wichtige Frischluftschneise gibt von der Hermannstraße, die im Sommer ja super warm und befahren ist, zum Tempelhofer Feld. Da gibt es nicht nur diesen Friedhof, sondern auch viele andere Friedhöfe, die an der Hermannstraße liegen, die super wichtig sind. Man sieht auf der Karte, dass die Bereiche drum herum viel kühler sind als die anderen.

Iman:

Für mich ist Grünfläche in der Stadt auch wichtig, weil zum einen der Anblick sehr schön ist. Aber ich merke auch, dass in der Natur sein, die Natur sehen und riechen, reduziert auch mein Stressempfinden. Und ich merke, dass da die Verbundenheit zur Natur besteht, auch wenn man sie im Alltag vergisst. Also man geht zur Schule, man geht zur Uni und zur Arbeit und man vergisst, dass man die Natur braucht. Gerade, weil wir uns in Räumen bewegen, aus denen die Natur raus gedrängt wurde. Und jetzt versucht der Mensch, so zwanghaft die Natur wieder reinzubringen in den Alltag und dann merkt man, dass es gar nicht so einfach ist und dass es sehr kostenaufwendig ist. Und da entsteht eine Sehnsucht zur Natur.

Mali:

Und es macht auch einfach Spaß, ich sag jetzt mal, nicht immer nur von Häusern umzingelt zu sein, sodass man auch mal in einen Park geht. Das ist einfach auch schön.

Alina:

Dass die Stadt bewohnbar ist, liegt zum Teil denke ich auch daran, dass es hier so viele Grünflächen gibt. Also es gibt glaube ich in fast keinen anderen Großstädten wie Berlin so viele Grünflächen. Und klar, da wohnen auch viele Leute, aber es bringt schon auch viel Lebensqualität mit, wenn man auch Orte hat, wo man sich im Grünen aufhalten kann. Also um für Menschen bewohnbar zu sein, ist es natürlich schön, wenn eine gewisse Struktur da ist, wie zum Beispiel durch die Prinzessinnengärten. Dass man weiß, es gibt Menschen, denen man sich anschließen kann, wo man dazugehört, wo man eingebunden wird und die sich freuen, wenn man kommt. Das ist immer schön.

Anuscheh:

Der Garten ist auf jeden Fall ein Rückzugsort, alleine von der Lage her. Also er ist ja, obwohl er mitten in Neukölln ist, super geschützt. Man braucht fast zehn Minuten, um von der Hermannstraße ganz nach hinten durchzugehen. Und es hat — weil wir auch den Schwerpunkt mit Heilkräutern haben — auf jeden Fall etwas sehr Heilendes. Weil die Frauen mit den Heilmitteln, mit der Erde in Kontakt kommen und mit ihren Händen dazu beitragen, dass Heilung aufgenommen werden kann — also sowohl äußerlich als auch innerlich. Und das ist auf jeden Fall ein ganz großer Punkt beim Gärtnern. Aber dieser Ort ist auch — es kommen auch viele, die gar nicht gärtnern, die einfach nur da sind. Gerade wenn Frauen von Formen von Gewalt betroffen sind, ist so ein Garten ein Ort, der erstmal nicht bewertet. Also sie werden nicht bewertet, sie können einfach sein. Solche Räume zu erschaffen und aufzubauen, klingt immer banal, aber ich finde, das ist eine der wichtigsten Komponenten für so einen geschützten Garten, der trotzdem offen ist.

Samira:

Und zum Thema Pflanzen in Berlin oder allgemein Neukölln: Ich finde es auch sehr wichtig. Ich finde Parks sehr wichtig, auch im Sommer vor allem. Auch um Grillen zu gehen, zu picknicken oder einfach Zeit mit Leuten, mit Familie und Freunden zu verbringen. Das ist auch einfach ein schöner Anblick, auch im Frühling, die Pflanzen und so. Aber ich finde es auch schade, dass viele Leute die Parks verdrecken und dann müssen extra Leute kommen, um es sauber zu machen.

Bettina:

Der Fokus innerhalb des Verbands verschiebt sich im Moment ein Stück, weil was sich momentan sehr in den Vordergrund drängt, wo es in den letzten Jahren so wahnsinnig trocken war und so wahnsinnig wenig geregnet hat und so viele Bäume schon gestorben sind, ist vor allem die Frage des Erhalts des Friedhofsgrüns.

Samira:

Also wir brauchen Pflanzen, auf jeden Fall. Auch Bäume brauchen wir, weil ohne Bäume würden wir gar nicht existieren. Weil Bäume machen unseren Sauerstoff. Sie wandeln CO2 – also wir atmen Sauerstoff ein und atmen CO2 wieder aus und die Bäume nehmen dann das CO2 und verarbeiten es, damit wir wieder neuen Sauerstoff einatmen können. Und ohne das könnte man eigentlich gar nicht leben auf der Welt.

Sandra:

An der Stelle, wo der Jacobi liegt, können wir nicht einfach sagen, wir machen da jetzt Naturschutz draus und sperren das Ding einfach ab, das macht keinen Sinn, das bringt nichts. Und da ist es doch schöner, wenn die Leute dahin gehen können und etwas tun können. Können schauen und sich vielleicht selber Essen ziehen und dergleichen und gleichzeitig sehen: Oh, hier leben ja ganz viele Tiere. Das ist ja auch so, da leben ja nicht nur ein paar Vögel, die ich jetzt gezählt habe, und der gelegentliche Marder, sondern es gibt ja auch unglaublich viele Insekten, es gibt Schnecken und dergleichen — also da gibt es sehr viel zu entdecken. Das ist für mich in der Stadt vielleicht noch so die beste Art, wie man die Menschen ein Stück weit wieder zurück an die Natur heranführen kann. Dass man eben miteinander auskommen lernt, auf einer kleinen Fläche. Und das ist ja in diesem Fall auch super gut möglich. Da ist der Garten ja eher eine Bereicherung und das würde ich auch nicht wegnehmen wollen.

Mariama:

Man braucht Wissen, um zu wissen, wieso die überhaupt da sind und was die Geschichte dahinter ist. Weil wenn man es nicht weiß, dann ist ja klar, dass man es nicht will. Aber wenn man es weiß — also ich, wenn ich jetzt herausfinde, wieso Bäume und so überhaupt da sind, dann finde ich es auch besser.

Anuscheh:

Ich finde deshalb sind so Nischen total wichtig, wo du die Möglichkeit hast, das einmal so zu spüren. Einmal so einen Zugang zu haben und zu merken: Ok, das ist ja ein Lebewesen, das ist eine Pflanze, die kommunizieren untereinander, das ist etwas, davon haben wir gar keine Ahnung. Und uns nicht immer — also dieses Bedürfnis, dass der Mensch an oberster Stelle steht.

Bettina:

Für Deutschland ist der Prinzessinnengarten ein sehr mutiges Beispiel. Es wird so und so aufgenommen und rezipiert und ich verstehe das auch. Diese verschiedenen Ansprüche, die aus den unterschiedlichsten Richtungen erwachsen an diese Flächen, haben ihre Berechtigung. Zuerst natürlich die paar Nutzungsberechtigten, die hier noch sind. Das sollte eigentlich das größte Gewicht haben. Zu allererst sind das hier Friedhöfe und Orte der Totenruhe, des Erinnerns und der Trauerkultur. Wie geht man damit um? Soll man das einfach abschneiden und einen Teil weggeben? An einigen Stellen hat man das schon gemacht, aber so ein langsamer Wandel wie hier auf dem Neuen St. Jacobi Friedhof, der mittlerweile für Bestattungen geschlossen ist — es gibt keine neuen Beisetzungen mehr, aber noch Gräber, die bis Mitte 2040 laufen und verteilt sind — wie gestaltet man das Drumherum?

Anuscheh:

Wir, von Flamingo, also innerhalb unseres Heilkräutergartens, wir haben viel mit dem Thema Tod und Trauer zu tun. Und diese Formen von, wie wird getrauert, was ist erlaubt, das wollten wir versuchen aufzubrechen. Und wir hatten am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen im November 2022 den Jina Amini Baum eingepflanzt, in Gedenken an Jina Amini, und zeremoniell begleitet. Wir haben eine schwarze Maulbeere eingepflanzt, die jetzt auch schon Maulbeeren trägt - total süß. Wir wollen auf diesem Friedhof noch mehr etwas machen, wo wir anders trauern können und gedenken können, weil Gedenken so wichtig ist, aber auch kollektiv.

Bettina:

Am Ende ist es auch trotzdem eine Aushandlung mit den einzelnen Nutzungsberechtigten. Viele kommen gar nicht mehr, aber andere sind da und präsent und haben bestimmte Ansprüche. Am Anfang gab es natürlich Auseinandersetzungen darüber, wie nah an den Gräbern die Gartennutzung stattfinden darf.

Paula:

Aber allgemein würde ich sagen, was eine Hauptverhandlung ist, ist: was passiert hier auf der Fläche, ohne die Freiheit von anderen Teilnehmer:innen oder Nutzer:innen der Fläche einzuschränken? Also Verhandlung für den Friedhof, wir sind hier, wir nutzen die Fläche. Wichtig ist, die Pietät zu wahren, fühlen sich die Angehörigen oder die Grabbesucher:innen hier wohl? Sich dem Ort anzupassen, zu gucken, was geht, was geht nicht?

Iman:

Verständnis ist mega wichtig. Weil ich es als wichtig empfinde, dass ein Verständnis darüber besteht, dass jeder andere Bedürfnisse hat. Du hast vorhin über Menschen gesprochen, die neu in eine Gruppe kommen und vielleicht nicht dieselbe Sprache sprechen, und ich denke, dass ein Grundverständnis dafür, dass jeder ja Bedürfnisse hat, die er befriedigt haben möchte, der Schlüssel dafür ist, dass man gemeinsam zu einem Ziel kommt.

Laura:

Wir sind in einer Gemeinschaft mit Menschen, die ihre Bedürfnisse und Ansprüche mitbringen, aber auch mit Pflanzen und Tieren. Wie können wir damit umgehen, dass nicht nur wir Ansprüche mitbringen, sondern auch nicht-menschliche Lebewesen?

Mawada:

Ich denke, dass man mit Pflanzen beispielsweise nicht gut kommunizieren kann, aber man kann unserer Umgebung, zum Beispiel den Pflanzen, anders Liebe zeigen, wenn man sich um sie sorgt und sie regelmäßig pflegt.

Sandra:

Tiere brauchen logischerweise Platz, Nahrung und brauchen eine Möglichkeit, um sich zurückzuziehen beziehungsweise um ihren Nachwuchs großzuziehen. Das sind nicht mal sehr große Ansprüche in vielen Fällen. Tiere, die hier sehr große Ansprüche haben, werden nicht in die Stadt kommen. Jetzt ist es allerdings so, dass wir so viel Landverlust haben in Deutschland. Wie ihr selbst wisst, unsere Naturschutzgebiete sind nicht mal zwei Prozent der Landesfläche, alles andere ist in Nutzung. Es gibt schlichtweg nicht genug Platz für andere Lebewesen außer Menschen. Und kein Wunder, dass viele Tiere in der Stadt auftauchen, die eigentlich gar nicht so sonderlich dafür geeignet sind, aber sich trotzdem anpassen, weil sie keine andere Wahl haben, sonst gäbe es sie gar nicht mehr. Dass wir Vögel haben, die eigentlich auf dem Land leben würden, das aber gar nicht mehr können, weil sie aufgrund der industrialisierten Landwirtschaft schlichtweg nichts mehr zu fressen finden und keinerlei Unterschlupf mehr haben. Wir haben vermutlich heutzutage in der Stadt in einigen Gebieten mehr Insekten und Vögel als auf dem Land, weil man in der Monokultur kein Leben mehr hat. Das ist hochgradig bedauerlich und ich denke, wir müssen hier umdenken. Den Tieren sollten überall in Deutschland wieder Chancen eingeräumt werden, um zu leben, nicht nur in der Stadt. Aber wir sind ja in Berlin, da müssen wir erstmal vor der eigenen Haustür putzen, das ist auch klar, da fegen wir mal bisschen Platz frei. Noch gibt es im Vergleich zu vielen anderen Städten in Berlin relativ viel Grünfläche. Wir dürften davon nichts mehr opfern, gar nichts, nicht einen Quadratzentimeter, so viel steht fest.