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Interview mit Katherine Tyndall

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Den Regenfänger „Cladonia Asahinae“, den du auf der Umweltbildungswiese findest, habe ich gemeinsam mit Teilnehmerinnen des MaDonna Mädchentreffs gestaltet. Ich erzähle euch, wie es dazu kam. Wir befinden uns in der Zukunft, im Jahr 2250: 


Das Symbiozän ist das Zeitalter, in dem sich die Menschheit wieder mit der Natur verbindet, sich von den Dominanzmustern des vorangegangenen Anthropozäns abwendet und ihre Verhaltensweisen ändert, um Raum für ein Zusammenleben mit allen irdischen Wesen zu schaffen. Wie wir wissen, verlief die Entwicklung nicht reibungslos und es gab seltsame Wendungen auf dem Weg zur Symbiose, darunter auch der Organismus, den wir hier sehen. Die erhöhte CO2-Konzentration in unserer Atmosphäre, die auf die industrielle Tätigkeit des Menschen zurückzuführen ist, war der Auslöser für die ersten Versuche des Bio-Engineering im 22. Jahrhundert. Die frühen Bioingenieur:innen wollten Organismen schaffen, die fähig waren, in der neuen Umgebung zu überleben und sie zu stabilisieren. Ein weniger bekanntes Beispiel ist die Cladonia Asahinae, die Becherflechte, die einst im Miniaturformat wuchs und nur wenige Millimeter bis maximal zwei Zentimeter groß war. Aufgrund von Experimenten von Wissenschaftler:innen aus dem Symbiozän in den 2250er Jahren wächst die Becherflechte nun in der uns heute bekannten Größenordnung und erreicht Höhen von einem halben bis zu etwa drei Metern. Das schnelle Wachstum dieser buschgroßen Flechte war der Schlüssel zu ihrem Einsatz bei der Steuerung der atmosphärischen CO2-Konzentration, während ihre einzigartige Form es ihr ermöglichte, ihre ursprüngliche ökologische Nische in größerem Maßstab auszufüllen. Die schalenförmigen Köpfe dieser Flechte sind natürliche Regenwassersammler. Statt winziger Mikroben sind nun Insekten und Vögel auf diese Reservoirs angewiesen, um sich in der Waldumgebung mit Wasser zu versorgen. Dieses kleine Exemplar wurde so umgebaut, dass es einen Wasserhahn enthält, den auch Menschen benutzen können. Biotechnisch veränderte Organismen waren damals umstritten, da man befürchtete, sie könnten unvorhergesehene ökologische Komplikationen verursachen. Diesen frühen, manchmal bizarren Experimenten ist es jedoch zu verdanken, dass wir heute die symbiotische Umwelt genießen können, die wir kennen.

Flechten-Geschichten und zurück im Jahr 2023

Solltest du Flechten nicht bemerken, dann bist du damit nicht allein. Die grünen Flecken, die auf Bäumen und Steinen wachsen, sind so allgegenwärtig, dass die meisten von uns sie nicht sehen — und wer verbringt schon seine Zeit damit, sich etwas so Flaches und Kleines anzuschauen, wenn es andere Dinge gibt, mit denen sich der Mensch beschäftigen muss? Aber im mikroskopischen Maßstab sind Flechten eine echte Party. Was wie ein langweiliger grüner, grauer oder orangefarbener Fleck auf dem Bürger:innensteig aussieht, ist in Wirklichkeit ein kompliziertes Netzwerk des Lebens, das aus verschiedenen Organismen besteht, die zusammenwachsen.

Flechten bestehen aus mindestens zwei Arten, die in Symbiose miteinander leben — einem Pilz und einer Alge oder Cyanobakterie. Der Pilz — oder in manchen Fällen auch mehrere verschiedene Pilze — bildet das Material und die Struktur der Flechte. Seine Fäden winden sich in- und umeinander und bilden so eine Art Gerüst. Die Algen oder Cyanobakterien ziehen dann in die von den Pilzfäden geschaffenen kleinen Zwischenräume ein und verbringen ihre Zeit mit der Photosynthese. Die vielen Organismen in der Flechte leben in einer symbiotischen Beziehung — die Algen oder Bakterien verbrauchen das Sonnenlicht und erzeugen Kohlenhydrate für die Pilze. Die Pilze wiederum schaffen einen geschützten Raum für die Existenz der Algen oder Bakterien. Die beiden pflanzen sich gemeinsam fort, und in einigen Fällen haben Pilze und Algen die Fähigkeit verloren, allein zu existieren — sie können nur noch als Teil des anderen überleben.

Flechten wachsen extrem langsam, bei manchen Arten nicht einmal einen Millimeter pro Jahr. Ihre Wachstumsrate ist so regelmäßig, dass Wissenschaftler:innen die Größe bestimmter Arten messen können, um festzustellen, wie lange Felsen der Luft ausgesetzt waren. Das ist nützlich, um das relative Alter prähistorischer Gebäude zu bestimmen oder um abzuschätzen, wie lange Gletscher in einem Gebiet bereits verschwunden sind. Einige Flechten gehören zu den ältesten kontinuierlich lebenden Organismen auf der Erde, wobei einige Kartenflechten in der Arktis auf 8.000 Jahre oder älter geschätzt werden.

Schau dir die Steine, Felsen und Bäume in deiner Umgebung an. Sind ihre Oberflächen wirklich kahl? Schau genauer hin! Sieh nach, ob dort etwas Winziges, Flaches, Graues oder Grünes lebt. Es ist eine ausgewählte Familie winziger Organismen, die in einem dichten symbiotischen Netz zusammenleben. Sei behutsam, wenn du sie untersuchst — sie leben hier wahrscheinlich schon länger als du!